
Redakteuer: Andreas Behr
Trotz erheblicher Proteste und laufender Gerichtsverfahren hat das Bundeskabinett Abkommen mit den Niederlanden zur gemeinsamen Gasförderung in der Nordsee zugestimmt. Ziel des sogenannten Unitarisierungsabkommens ist die grenzüberschreitende Erschließung eines Gasfeldes nahe der Insel Borkum – in unmittelbarer Nähe zum sensiblen UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer.
Die Entscheidung markiert eine Kehrtwende in der deutschen Energiepolitik. Noch unter der Leitung von Ex-Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte die Bundesregierung das Abkommen auf Eis gelegt und angekündigt, laufende Gerichtsverfahren abzuwarten. Nun jedoch spricht sich die neue Koalition aus CDU, CSU und SPD im Koalitionsvertrag für die Nutzung konventioneller Gasvorkommen im Inland aus. Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) begrüßte den Beschluss als Beitrag zur europäischen Versorgungssicherheit.
Die Zustimmung zum Abkommen bedeutet allerdings noch keinen endgültigen Startschuss für die Gasförderung: Zunächst müssen Bundestag und Bundesrat ein Vertragsgesetz verabschieden. Zudem stehen noch mehrere gerichtliche Entscheidungen aus – unter anderem vor dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht, wo die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und die Stadt Borkum gegen das Projekt klagen.
Die Kritik an dem Vorhaben ist scharf. Umweltverbände warnen vor irreparablen Schäden für die fragile Meeresökologie. Die DUH spricht von einem „Geschenk an die fossile Industrie“, das Havarie-Risiken, Klimaziele und Treibhausgasemissionen ausblende. Niedersachsens Energieminister Christian Meyer (Grüne) warf Berlin vor, mit dem Projekt Klimaziele zu konterkarieren und fossilen Konzernen zu dienen.
Im Zentrum der Debatte steht der niederländische Energiekonzern ONE-Dyas, der von einer Bohrplattform auf niederländischem Hoheitsgebiet aus auch unter dem Meeresboden auf deutscher Seite Gas fördern will. Die entsprechende Genehmigung des Landesamts für Bergbau, Energie und Geologie in Niedersachsen für das Gasfeld N05-A wurde bereits 2024 erteilt – befristet auf 18 Jahre. Darüber hinaus hat das Unternehmen weitere Fördergebiete ins Visier genommen, die laut eigenen Angaben jedoch weiter von den Wattenmeerinseln entfernt liegen.
ONE-Dyas plant zudem, ein Stromkabel zum nahegelegenen deutschen Windpark Riffgat zu verlegen – ein Schritt, der von Umweltschützern als „Greenwashing“, als „grünes Feigenblatt“ bezeichnet wird, um industrielle Eingriffe in ein ökologisch hochsensibles Gebiet zu legitimieren.
Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD) versucht, die Wogen zu glätten: Er betonte, dass Meeresschutzgebiete von der Gasförderung ausgenommen bleiben müssten. Ein entsprechender Rechtsrahmen sei in Vorbereitung. Schneider erklärte, der Beschluss sei auch als Signal an Investoren zu verstehen, dass Bohrungen in Schutzgebieten nicht geduldet würden.
Die DUH mit Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner übte indes scharfe Kritik und wirft der Bundesregierung in einer unmittelbaren Stellungnahme vor, mit dem Abkommen gezielt Druck auf Gerichte und Behörden auszuüben. Man vertraue jedoch darauf, dass die Justiz unabhängig entscheide und geltendes Umweltrecht durchsetze. Für die Artenvielfalt in der Nordsee, so warnen die Umweltschützer, wäre eine weitere Industrialisierung fatal – bedrohte Arten wie Schweinswale und empfindliche Riffstrukturen könnten dauerhaft geschädigt werden.
Die Stadt Borkum äußert sich enttäuscht über die Zustimmung zur Unterzeichnung des Unitarisierungsabkommens, noch bevor die Entscheidungen über die laufenden Gerichtsverfahren gefallen sind. In einer kommenden Pressemitteilung wird die Stadt Borkum über die neuen Entwicklungen informieren. Klar ist jedoch schon jetzt: Die Entscheidung zur Gasförderung mit dem verabschiedeten Abkommen spaltet weiterhin Politik, Gesellschaft und Inselregion.
